Video/Sound Art Arbeit für die Jahresausstellung «A table» des Bündner Kunstvereins im Bündner Kunstmuseum Chur

(© Casper Nicca, La mesa da la Rosina, Filmstill / Video: Casper Nicca, Sound Art: Silvan Nicca)
Der Ort bleibt, nur die Zeit ist im Fluss. Die Spuren der Zeit: die Erinnerung des Ortes. Die gelebten Leben. Der Ort: Scarvens. Heute eine Wiese. Früher stand hier Rosina’s Haus. In ihm Rosina’s Tisch.
So viele Morgen, so viele Mittage, so viele Abende, so viele Stunden daran gesessen. So viele Mühen darauf abgeladen. So viel Gelächter, so viele Tränen und so viele Geschichten. So viele Hände, die darüber gestrichen sind, darauf die Fäuste geballt haben, andere Hände gestreichelt haben. Hände, die jung gewesen sind, alt geworden sind, verschwunden sind…

(© Casper Nicca, La mesa da la Rosina, Fotografie)
Ein Tisch ist auch bei mir der Ort, wo die Familie zusammenkommt, wo man lebt, sich näher kommt, sich auseinanderlebt, sich wieder findet… Fast alles im Leben spielt sich an einem Tisch ab. Bei mir war viel davon an diesem kleinen Tisch, 61×77 cm gross. Er steht seit den 90er Jahren bei mir auf dem Balkon. Ich habe ihn in einem Abstellraum im Haus meiner Grossmutter gefunden, für schön befunden. Die Grossmutter sagte: „Quegl e la mesa da la Rosina“, das ist Rosina‘s Tisch.
Von Rosina, Rosina Eugster, weiss ich nicht viel. Sie hat mit ihren zwei Brüdern in Scarvens, in einem Haus am Rand einer Wiese zwischen Casti und Fardün gelebt. Eigenbrötler. Randständige fast. Mein Nachbar, er jetzt auch ein alter Mann erzählt, Rosina habe ihm als Kind, wenn sie vorbeigelaufen sei, damals waren ja alle Menschen zu Fuss unterwegs, immer ein Bonbon aus der Rocktasche geklaubt, verklebt und alt, aber doch „egn zucker!“. Irgendwann sind ihre Brüder verstorben und sie hat lange allein gelebt. Wohl oft alleine an eben diesem Tisch gesessen. Was hat sie gedacht, gefühlt? Hat sie mit sich selbst geredet oder mit dem Tisch? Oder mit einer der vielen Katzen, die sie hatte, und die auf dem Tisch sass und ihr mit unergründlichen Katzenaugen in ihre Menschenaugen schaute? Oder mit ihrem Hund, der zusammengerollt unter ihrem Tisch sich an ihre Beine schmiegte?…
Später wurde Rosina dann von der Gemeinde in die Anstalt Beverin eingewiesen. Dort, sass sie dann an einem anderen Tisch. Und dort starb sie auch.
Wie die Wiese, wo Rosinas Haus mit Rosina‘s Tisch stand an meine Grosseltern gegangen ist, weiss ich nicht. Wahrscheinlich gab es eine Versteigerung und sie haben Wiese und Haus ersteigert. Das Haus haben sie in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts geschliffen, um auf der Wiese weiter unten einen Stall zu bauen, der unterdessen auch schon wieder verwaist ist. Alt und neu verwischt sich im Cocktail-Mixshaker der Zeit….
Auf jeden Fall: Was blieb vom Haus der Eugsters, die einzige Erinnerung an Rosina, ist der Tisch. Ihn haben meine Grosseltern ins Dorf mitgenommen. La mesa da la Rosina.
Ein kleiner Tisch. Nur ein kleiner Tisch.
Im Video/Sound Art Beitrag von Casper Nicca & Silvan Nicca für die Jahresausstellung im Bündner Kunstmuseum 2025 steht Rosina‘s Tisch im Gras, auf der Wiese, wo einst ihr Haus stand, im Schatten eines alten Apfelbaums. Gefilmt mit einem Lochblende als Objektiv. Quasi einer Camera Obscura. Rosina‘s Tisch kennt diesen Ort. Der Film gibt Rosina‘s Tisch seinen Ort zurück. Der Ton erforscht seine Zeit. Rosina‘s Tisch ist nicht mehr Objekt, sondern Subjekt, Echo und Archiv von allem, das den Tisch berührt hat. Alles was hier war, geschah, bleibt verborgen und wird doch lebendig, im Rauschen der Zeit.